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Gruppen in Bewegung bringen

Nadja Wersinski • Juli 15, 2019

Sechs passende Methoden

Wie kommen Gruppen inwenigen Stunden in einen wirklichen Austausch und zu Ergebnissen? Zu vielen Ideen, gelösten Problemen und echten Anliegen?


Jeder Beteiligungsanlass ist einzigartig. Deshalb gilt: unterschiedliche Formate für unterschiedliche Herausforderungen.

 

Es gibt nicht das eine Standard-Format, das immer wieder passt. Für jede Veranstaltung muss die passende Methode ausgewählt, kreiert oder angepasst werden. Diese Fragen sind vorher wichtig:

 

  • Was ist bisher geschehen? Und wie ist die Situation aktuell? Gibt es zum Beispiel Konflikte?
  • Welches Ergebnis brauchen Sie ? Möglichst viele Ideen? Ein Meinungsbild? Ein gelöster Konflikt?
  • Wer ist die Zielgruppe? Mit welchem Format haben alle bisher gute Erfahrungen gemacht?
  • Wieviel Zeit haben Sie? Einen Abend, mehrere Tage, oder sind mehrere Veranstaltungen geplant?

 


Sechs Möglichkeiten, um in Gruppen Ideen zu sammeln, Anliegen zuerarbeiten oder Entscheidungen zu treffen:


 

 1. Interessenausgleich durch Systemisches Konsensieren

 

Oft müssen Gruppen entscheiden, welche Lösung die beste ist. Aberwie geht das bei unterschiedlichen Interessen und Konflikten, die im Raum stehen? Das übliche Vorgehen: demokratisches Abstimmen, also rausfinden, was die Mehrheit möchte. Das Problem: So bestimmen nur wenige das Ergebnis, andere Perspektiven werden überstimmt. Das sorgt für Frust.

 

Das Systemische Konsensieren ist eine spannende Alternative. Das Besondere: Es geschieht, was die wenigsten ablehnen und nicht, was die meisten wollen. Der Grundgedanke: Gibt es wenig Widerstand, sind die meisten Bedürfnisse erfüllt. So findet die Gruppe die Lösung, die den Interessen der Beteiligten ambesten entspricht.

 

Wie geht das nun genau? Die Gruppe entwickelt möglichst viele Vorschläge, wie ein Problem gelöst werden kann. Jede und jeder einzelne bewertet diese anschließend mit Widerstandsstimmen. Dabei bedeuten 10 Stimmen maximaler Widerstand, 0 Stimmen keiner, dazwischen gibt es die üblichen Abstufungen. Der Vorschlag mit den wenigsten Punkten kommt dem Konsens und dem Interessenausgleich am nächsten. Eben der Weg des geringsten Widerstandes.

 

Ein Tipp zum einfachen Vorgehen in großen Gruppen: Bei großem Widerstand werden zwei Hände gehoben, bei geringem eine,bei keinem keine Hand. Oder jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer, hält entsprechendeZahlenkarten hoch.

 

Das Gute: Das Systemische Konsensieren können Sie in wenigen Minuten bei kleinen Entscheidungen schnell mal ausprobieren.

 


 

 2.  Gedanken auf den Tisch bringen im World Café

 

Das World Café bringt in kurzer Zeit unterschiedliche Perspektiven auf den Tisch – um genau zu sein aufdie Papiertischdecke. Die Menschen sitzen verteilt an kleinen Tischen im Raum (ca. 8 – 12 Personen pro Tisch), dadurch entsteht die Café-Atmosphäre.

 

Es werden drei unterschiedliche Fragen in drei aufeinanderfolgenden Gesprächsrunden an den Tischen bearbeitet. Eine Runde dauert etwazwanzig bis dreißig Minuten. Gut geeignet sind konkrete Fragen, zu denen jede und jeder Ideen hat und die schnell beantwortet werden können. Einige Beispiele:„ Was möchte ich in der neuen Stadtbibliothek machen“, „Was funktioniert gut auf dem Goetheplatz“, „Was brauchen wir, um uns gerne auf dem Platz aufzuhalten“.

 

Alle schreiben ihre Ideen und Gedanken auf Papiertischdecken. Nach einer Runde mischen sich die Gruppen neu, so dass jede und jeder viele neue Perspektiven kennen lernt. Ein Gastgeber bleibt die ganze Zeit am Tisch und erzählt zu Beginn einer neuen Runde, was bisher diskutiert wurde. Die wichtigsten Punkteaus jeder Gruppe werden am Schluss im Plenum vorgestellt.

 

Die Methode World Café wird gerne eingesetzt, da sie an einem Abend viele Gedanken und Ideen einsammeln kann. Zum Beispiel um Impulse für den Auslobungstext eines städtebaulichen Wettbewerbs zu bekommen. Was die Methode nicht leistet: Anliegen können nicht detailliert ausgearbeitet werden, da die Gruppen nur für kurze Zeit zusammen arbeiten. Daher bleibt es bei ersten Ideen – die manchmal ja auch reichen. Wenn Aspekte tiefgehender beleuchtet werden sollen, ist es sinnvoller, in festen Gruppen zusammen zu bleiben.

 


 

 3.  Allen eine Stimme geben im Fishbowl

 

Die Methode Fishbowl ist eine Alternative zu Podiumsdiskussionen, bei denen wenige Menschen miteinander reden und der Rest passiv und müde zuhört. Sie ermöglicht es allen, in die Diskussion einzusteigen und dazu beizutragen. Und zwar ganz ohne das Einsammeln von Fragen und Wortmeldungen im Plenum. Dadurch gibt es nicht die übliche Hierarchie zwischen Bühne und passivem Publikum; das Gespräch ist dynamischer und facettenreicher.

 

Wie funktioniert es: Eine kleine Gruppe diskutiert im Innenkreis (dem „Goldfisch-Glas“) über das Thema. Die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen oder stehen in einem Außenkreis und hören zu. Im Innenkreis gibt es einen freien Stuhl. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer aus dem Außenkreis, der sich zu Wort melden möchte, nimmt auf diesem Stuhl Platz – um seine Perspektive einzubringen oder auch eine Frage an die Diskutierenden stellen. Anschließend macht er den Stuhl für die nächste frei. Eine andere Möglichkeit: Ein Teilnehmender aus dem Innenkreis verlässt seinen Stuhl für jemanden aus dem Außenkreis oder wird „abgeklatscht“.

 


 

 4.  Alle Perspektiven berücksichtigen mit der Walt-Disney-Strategie

 

Eine Lösung ergibt sich oft aus vielen Perspektiven und einem breitem Blick auf ein Thema. Um keine Seite der Medaille zu vergessen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Angeblich hatte WaltDisney für diese unterschiedlichen Blickweisen verschiedene Räume in seinem Haus. Sie können aber auch einfach drei Stühle oder Ecken in einem Raum mit den Rollen „Träumer“, „Realist“ und „Kritiker“ beschriften. Die drei Rollen:

 

Träumer: Der Träumer ist ein Fantast. Er entwirft eine Zukunfts-Utopie, inder seine kühnsten Träume wahr werden, eine große Vision. Also: „Wenn alle Wünsche wahr werden können – wie sieht unsere Stadt im Jahr 2030 aus?“

 

Realist: Der Realist plant die systematische Realisierung der Vision, macht also einen Umsetzungsplan. Also: „Was muss wer bis wann konkret tun, damit unsere Stadt im Jahr 2030 so aussieht?“

 

Kritiker: Der Kritiker nimmt die Vision auseinander, kritisiert sie und stellt Fragen. Und die Vision damit auf den Prüfstand. Also: „Ist es wirklich sinnvoll, dass die Bevölkerungszahl weiter steigt? Dass die Autos nicht mehr durch die Innenstadt fahren dürfen?“

 

In kleinen Gruppen nehmen verschiedene Personen die einzelnen Rollen ein und diskutieren das Problem. Besonders spannend: Der übliche Kritiker muss plötzlich eine Version entwickeln und die Visionärin die konkrete Umsetzung planen – ein Perspektivenwechsel. Wechseln Sie die Rollen ruhig mehrmals je nach Bedarf. Mit den Erkenntnissen können Sie dann in einem nächsten Schritt weiterarbeiten. Wenn Sie eine vierte Rolle, „Neutraler“ als Beobachterrolle ergänzen, kann diese Beobachtungen und Erkenntnisse direkt festhalten.

 

Die unterschiedlichen Positionen erinnern an die Kritik-, Phantasie- und Realisierungsphase, die eine Gruppe bei der Erarbeitung von Inhalten typischerweise durchläuft. Diese werden zum Beispiel bei der Methode Zukunftswerkstatt berücksichtigt.

 


 

 5.  Der Gruppendynamik folgen mit Dynamic Facilitation

 

Haben Sie auch manchmal extrem vertrackte Themen? Eine Gruppe versucht schon lange, ein Problem zu lösen, es gibt große Konflikte, alle sind irgendwie ineinander verhakt und niemand sieht Land in Sicht? Gleichzeitig ist das Thema allen sehr wichtig und es muss eine Lösung gefunden werden – zum Beispiel bei Gruppen, die langfristig gut miteinander arbeiten müssen.

 

Für diese Themen ist die Methode Dynamic Facilitation passend. Die Moderation hat keine feste Struktur, sondern überlässt es der Gruppe, welches Thema aktuell wichtig ist. Denn gerade wenn Menschen emotional betroffen sind, können sie nicht ganz strukturiert über das Problem reden, dann Lösungen sammeln, dann eine To do Liste erstellen und so weiter. Dann müssen Probleme und Bedenkensofort raus, damit jede und jeder arbeitsfähig ist.

 

Die Moderation sammelt gleichzeitig auf vier Wänden

 

 a)  Probleme und Herausforderungen („Wie schaffen wir es, das Problem xy zu bewältigen?“)

 

 b)  Lösungen und Ideen („Wie würdest du es lösen, wenn du alle Macht der Welt hättest?“)

 

 c)  Bedenken und Einwände („Was genau ist deine Befürchtung?“)

 

 d)  Informationen und Sichtweisen („Was ist sonst noch wichtig.“)

 

Die Moderation achtet darauf, dass alle einander zuhören, stellt Fragen und hält die Beiträge auf den Wänden fest. Was in der Natur der Sache liegt: Scheinbares Hin- und Herspringen und Ratlosigkeit gehören dazu. Wenn die Gruppe wirklich alles miteinander besprochen hat, findet sie oft wie von selbst ein gemeinsames Ergebnis, das alle mittragen. Und damit zu einer Lösung im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich von allen Konflikten und Problemen der Vergangenheit. Für diese Methode brauchen Sie einige Stunden Zeit und eine geübte Moderation.

 


 

 6.  Mit großen Gruppen arbeiten mit Open Space

 

Manchmal stehen die konkreten Themen vorher nicht fest, zum Beispiel bei der Entwicklung eines Leitbildes für eine Stadt oder eines Konzepts im Bereich Bildung, Mobilität oder Gesundheit. Außerdem wollen gerade bei solchen übergreifenden Fragen sehr viele Menschen ihre Perspektive einbringen. Für diese Zwecke ist die Methode Open Space nützlich. Sie wird auch oft bei großen mehrtägigen Konferenzen mit bis zu 2.000 Teilnehmenden eingesetzt.

 

Den Rahmen bildet eine Art Überschrift, („Über was soll geredet werden, über was nicht“), die konkreten Inhalte sind offen. Die Teilnehmenden entscheiden für sich: Mir ist das Thema Verkehr oder Klima total wichtig und ich lade zu einer Arbeitsgruppe hierzu ein. Die Themen werden mit Uhrzeit und Raum an einer Pinnwand gesammelt. Anschließend kann jede und jeder entscheiden, bei welchem Thema sie oder er sich einbringen möchte.

 

Die Arbeitsgruppen erarbeiten und priorisieren Lösungen und Maßnahmen. Wenn jemand in seiner Arbeitsgruppe nichts mehr beitragen kann: einfach die Gruppe wechseln. Open Space ist also ein sehr dynamisches Format, bei dem alle mit großer Energie und Engagement dabei sind, weil sie die Inhalte wirklich mitgestalten können. Wichtig ist eine gute Organisation, Moderation und Infrastruktur – es werden viele kleine Räume gebraucht.

 

Durch die große inhaltliche Offenheit ist eine Frage vorab entscheidend: Sind Sie bereit, die Ergebnisse danach weiterzuverfolgen, ganz unabhängig davon, welche Themen und Maßnahmen das sein werden? Das Format sollte nur eingesetzt werden, wenn Sie diese Frage mit ja beantworten können. Das geht zum Beispiel, indem die Ergebnisse in ein Konzept oder Leitbild einfließen und Menschen für die Umsetzung der konkreten Maßnahmen verantwortlich sind.

 


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