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Was hält Gruppen stabil?

Nadja Wersinski • Sept. 20, 2021

Sechs Systemerhaltende Prinzipien


Manche Gruppen laufen einfach rund und funktionieren – sei es ein Team, eine Nachbarschaft oder eine Familie. In anderen jagt ein Konflikt den nächsten, und niemand kennt einen Ausweg.


Gruppen können dauerhaft gut zusammen agieren, wenn in ihnen einige wichtige Prinzipien gelten. Wenn sie ein paar Regeln beachten, bei denen man sich immer wieder wundert, dass sie wirklich überall identisch gelten.


Diese sogenannten systemerhaltenden Prinzipen wurden im Rahmen von Organisationsaufstellungen oder Systemischen Strukturaufstellungen formuliert, beispielsweise von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer. Solche Gruppenvisualisierungen in Form von Aufstellungen zeigen Rollen und Dynamiken in Gruppen so, wie sie im Moment sind.



Ganz unabhängig von der Aufstellungsarbeit werfen diese systemerhaltenden Prinzipien ein Licht darauf, wie Gruppen funktionieren und warum sie manchmal eben nicht funktionieren – nämlich immer dann, wenn systemische Grundordnungen verletzt sind. Wenn diese verletzten Prinzipien erkannt und wieder in Ordnung gebracht werden, können sich Gruppen verändern. 



Rollen und Positionen in Gruppen


Innerhalb einer sozialen Gruppe gibt es unterschiedliche Positionen, deren Status und Bedeutung sich unterscheiden. Damit eine Gruppe funktioniert, müssen diese einzelnen Positionen aufeinander abgestimmt und auf eine gemeinsame Aufgabe hin ausgerichtet werden.


Positionen und Rollen sind in Bewegung und verändern sich, sie können gestaltet werden. Eine funktionierende Gruppe ist wie ein Mobile, dessen einzelne Objekte austariert sind und im Gleichgewicht hängen. Alle Teile sind miteinander verbunden und können nicht ohne Weiteres entfernt werden. Wenn ein Element angestoßen wird, setzt sich das gesamte System in Bewegung, bis die Balance wieder hergestellt ist.


Wenn beispielsweise jemand eine Gruppe verlässt und eine Lücke hinterlässt, wird diese Funktion und Rolle früher oder später durch jemand anderen ersetzt. Auch eine neue Person bringt das gesamte austarierte Mobile in Bewegung und in Veränderung, sie muss ihren Platz erst finden. 



Systemerhaltende Prinzipien


Sechs systemerhaltende Prinzipien geben Hinweise, wie Positionen und Rollen in Gruppen so gestaltet werden können, dass sie dauerhaft und stabil funktionieren. 


  • Die Würdigung: Alles was ist, darf sein. 
    Jede Tatsache, jede Wahrnehmung, eben „alles was ist“, muss auch sein dürfen und damit ausgesprochen werden können. Wenn eine Person 50 Prozent der Arbeit im Team macht, dann ist das so. Wenn eine Kollegin jeden Morgen zu spät kommt, dann ist das so. Wenn ein Konflikt so schlimm ist, dass der Teamleiter nachts nicht mehr schlafen kann, dann ist das so. Zu oft werden kritische Entwicklungen unter den Teppich gekehrt, schöngeredet und besonders nach außen hin geleugnet. Manchmal spüren alle, dass etwas nicht stimmt, aber niemand spricht es aus. Es ist oft notwendig, das, was ist, anzuerkennen, bevor Dinge verändert werden können. Denn: nicht alles, was ist, darf auch so bleiben. Die Anerkennung erhöht die Notwendigkeit der Weiterentwicklung. 



  • Der Ausgleich von Geben und Nehmen 
    Ein ausgeglichenes Geben und Nehmen ist in Gruppen ein sehr hoher Wert und ein großes Bedürfnis der Gruppenmitglieder. Das Gefühl von Gleichgewicht und Gerechtigkeit in einer Gruppe entsteht dann, wenn alle so viel rausbekommen, wie sie reingeben. Wenn alle von der Gruppe profitieren. Wenn Aufgaben gerecht verteilt sind, nicht immer dieselbe Person den Kaffee kocht, die Protokolle schreibt, die schwierigen Termine wahrnimmt. Ein Bedürfnis, das auch in Familien unter Geschwistern gut zu beobachten ist. Dieses Prinzip gibt wichtige Hinweise zur Verteilung von Aufgaben in Gruppen.

    Das Gefühl von Gleichgewicht, Ausgleich und Gerechtigkeit lässt sich nicht quantitativ messen. Es ist ein subjektives Gefühl der jeweiligen Person. Der Klassiker: Eine Kolleg*in hat das Gefühl, die ganze Last zu tragen, auch wenn alle anderen der Auffassung sind, dass genau diese Person nicht genug beiträgt. 

 

  • Das Recht auf Zugehörigkeit 
    Nur wenn alle einen Platz im System haben, kann dieses harmonisch funktionieren. Niemandem darf das Recht auf Zugehörigkeit abgestritten werden und niemand darf für sich selbst ein höheres Recht auf Zugehörigkeit beanspruchen. Niemand darf abgewertet oder ausgeklammert werden, ganz unabhängig davon, was sie oder er getan hat, wie leistungsfähig die Person ist. Kein Verhalten kann die Zugehörigkeit zur Gruppe in Frage stellen. Dies ist natürlich nur schwer auszuhalten, wenn jemand anderen Gruppenmitgliedern oder der gesamten Gruppe bewusst schadet.

    Auch andersherum tut es einer Gruppe nicht gut, wenn einer Person eine größere Zugehörigkeit als anderen zugestanden wird, jemand als Superstar hochidealisiert wird.

    Das Recht auf Zugehörigkeit ist besonders dann ein sensibler Punkt, wenn im Rahmen von Organisationsentwicklungen Abteilungen neu strukturiert und einzelne Personen woanders zugeordnet werden.

 

  • Der Vorrang des Früheren vor dem Späteren
    Auch wenn alle zur Gruppe gehören: Diejenigen, die schon länger dabei sind, haben mehr Rechte als diejenigen, die neu hinzukommen. Die alten Hasen sagen, wo es langgeht. Alle Neuen tun gut daran, sich die Rollen und Gruppendynamiken erst mal anzusehen, bevor sie eine Rolle übernehmen, die möglicherweise längst vergeben ist.

    Auch neue Führungskräfte haben einen leichteren Start, wenn sie mit großem Interesse, demütig und mit Achtung vor der bisherigen Leistung des Teams ihre neue Rolle beginnen und nicht sofort alles auf den Kopf stellen. Sie stehen formal auf dem ersten Platz, müssen sich in der Gruppe aber erstmal hinten anstellen.

    Auch wenn neue Organisationseinheiten in einen Bereich integriert werden ist völlig klar: die Loyalität zu allen, die schon immer dazu gehörten, wird zu Beginn größer sein, als zu den Neuen. 


  • Der Vorrang des höheren Einsatzes für das Ganze
    Das Ganze ist wichtiger als die Einzelnen und wer mehr für die Gruppe leistet hat Vorrang. Somit ist ein gesamtes Unternehmen oder auch eine Stadtgesellschaft bedeutsamer, als die Interessen einzelner Menschen. 

    Um handlungsfähig zu sein benötigt jede Gruppe über kurz oder lang eine Führungsperson, die Verantwortung übernimmt und damit mehr Einsatz für das System zeigt, als die übrigen. Für ein Team ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden diesen Grundsatz und damit ihre*n Vorgesetzte*n in ihrer beziehungsweise seiner exponierten Rolle respektieren. Und dieser die Mitarbeitenden anerkennt, die schon länger dabei sind – hier bedingen sich die systemerhaltenden Prinzipien. 


 

  • Der Vorrang von Kompetenz
    Kolleg*innen mit mehr Wissen oder Kompetenz haben Vorrang vor denen, die weniger Kompetenzen in diesem Bereich haben. Weniger kompetente Mitarbeiter*innen müssen die kompetenteren anerkennen. Auch hier wieder der Zusammenhang zu den anderen Prinzipien: Was ist, wenn jemand anderes nicht so kompetent ist, aber länger im Team oder qua Rolle eine Vorgesetzte? Hier ist Achtung in alle Richtungen erforderlich und diese Gemengelagen oft Ursache für Konflikte. 



Entscheidend für die Systemharmonie ist das Prinzip der Würdigung und der gegenseitige Respekt, der sich durch alle Prinzipien wie ein roter Faden hindurchzieht. Kommt es häufig zu Konflikten, liegt der Verdacht nahe, dass diese systemerhaltenden Prinzipien verletzt wurden. Dies anzuerkennen und zu korrigieren bringt Veränderungsprozesse in Gang. 


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